Im Kontext der Zweiten Frauenbewegung entstand ab den späten 1970er Jahren eine feministische Stadtkritik, die sich vor allem gegen die zeitgenössische moderne Stadtplanung und die daraus hervorgegangenen Siedlungsstrukturen richtete. Engagierte Architektinnen, Stadtplanerinnen, Geografinnen und Soziologinnen dekonstruierten städtische Strukturen und planerische Leitbilder und legten diejenigen Mechanismen und Strukturen offen, die hierarchische Geschlechterordnungen stabilisierten. Dabei ging es um Geschlechterstereotype und -rollen, aber auch die Trennung von Produktion und Reproduktion sowie von Öffentlichkeit und Privatheit. Pragmatisch machten sie Vorschläge für die Gestaltung von städtischen Räumen, die unter anderem eine Überwindung der hierarchischen geschlechterspezifischen Arbeitsteilung möglich machen sollten. Mit der von feministischen Wissenschaftler_innen geführten Debatte um „Angsträume“ wurden spezifische Lebensrealitäten und subjektive Wahrnehmungen von Frauen sichtbar gemacht. Die Frage nach (Un-)sicherheit hatte eine emanzipatorische Aneignung der Stadt zum Ziel und hegte vor diesem Hintergrund Hoffnungen auf die Entwicklung neuer, gerechterer Formen des Städtischen.
Fast 40 Jahre später zeigt sich, dass sich solche Hoffnungen nicht wirklich erfüllt haben. In den Planungswissenschaften, der Stadtsoziologie und der Geographie – den drei Forschungsrichtungen, die über Jahrzehnte eng mit der feministischen Stadtplanung verbunden waren – wird der Zusammenhang von >Stadt und Geschlecht< oder >Stadt und Frau< seit mehr als 10 Jahren nur noch selten explizit diskutiert. Eine Beschäftigung mit dem Thema findet in begrenztem Maße im Kontext von intersektionalen stadtbezogenen Studien sowie in Auseinandersetzungen über >Raum und Geschlecht< statt sowie im Rahmen einer Wissenschaftskritik, in der frühere feministische Ansätze gewürdigt und der noch immer vorherrschende Androzentrismus aktueller Stadtforschung kritisiert wird.
Dieses Verebben der feministischen Debatte mit Bezug auf Stadt ist wohl kaum mit einer vollständigen „Umsetzung“ der früheren Kritiken in der Stadtplanung und Gesellschaft zu erklären. Im Gegenteil haben feministische Ansätze zwar insofern Relevanz in der Stadtplanung entfalten können, dass Leitbilder wie die >Stadt der kurzen Wege< inzwischen unumstrittener Bestandteil vieler Stadtentwicklungskonzepte sind und auch Handbücher, Kriterienkataloge und Best-Practice-Publikationen für Gender Planning in vielen Kommunen vorliegen. Diese fokussieren jedoch häufig auf die Berücksichtigung der Bedürfnisse vielfältiger >Ziel-< oder >Nutzer_innengruppen< und nicht auf einen grundsätzlich anderen,
macht- und gesellschaftskritischen Entwurf des Urbanen. Ein transformatives Potenzial feministischer Stadt- und Planungskritik ist damit kaum noch erkennbar. Die Auseinandersetzung z. B. mit intersektionalen oder queeren Forschungsergebnissen wird – wenn diese denn überhaupt wahrgenommen werden – auf Versuche reduziert, >städtische Vielfalt anzuerkennen<. Radikale feministische Forderungen wurden im Gender Mainstreaming kanalisiert. Die von der Angsträume-Debatte aufgeworfene Frage nach (Un-) Sicherheit hat heute ihr emanzipatorisches Potential verloren und wird fast ausschließlich im Kontext der Kontrolle öffentlicher Räume diskutiert.
Vor dem Hintergrund dieser (hier zugegebenermaßen in Teilen zugespitzt dargestellten) Entwicklung werden wichtige Fragen aufgeworfen: Wo stehen feministische Stadtforschung, -geographie, -soziologie und Planung(swissenschaften) heute? Welche (neuen) Formen der feministischen Beschäftigung mit dem Städtischen gibt es? Diesen Fragen wollen wir in der kommenden Ausgabe der Feministischen Georundmail nachgehen.
Wir wünschen uns für diese Ausgabe Kurzbeiträge, Einwürfe, Kommentare und Essays, die
– aktuelle feministische Perspektiven auf die Stadt aufzeigen und reflektieren;
– (eigene) feministische Forschungsarbeiten über die Stadt aus den letzten Jahren vorstellen;
– zukünftigen Forschungsbedarf und kreative (Forschungs- und Planungs-) Methoden darstellen und
– feministische Utopien für die Stadt entwerfen.
Die Ausgabe erscheint im Juli 2017. Wir bitten um halbseitige Abstracts bis zum 31.01.2016 und um erste Textentwürfe bis zum 31.05.2017.
Sandra Huning (sandra.huning@tu-dortmund.de)
Catarina Gomes de Matos (GomesdeMatos@em.uni-frankfurt.de)
Pingback: Die neue Feministische GeoRundMail Nr. 70 ist da! | AK Geographie und Geschlecht